Ein Zeichen des Wunders, das der Qur’ an ist (Isharat-ul i’djaz)
بِسْمِ اللّهِ الرَّحْمنِ الرَّحِيمِ
وَ بِهِ نَسْتَعِينُ
»Im Namen Gottes, des Erbarmers, des Alllbarmherzigen…« »…und mit Seiner Hilfe.«
Zur Beachtung: Der Kommentar »Zeichen des Wunders (isharat-ul i’djaz)« wurde im ersten Jahr des ersten Weltkrieges an der Front verfasst. Quellen- oder Nachschlagewerke gab es nicht. Aufgrund der kriegsbedingten Notsituationen und noch vier anderer Gründe ist er in seinem Stil besonders kurz und bündig. Besonders der Kommentar zur »Suratu-l’Fatiha« und die erste Hälfte des Werkes sind ein besonders kurz und bündig gefasstes Manuskript geblieben.
Erstens: Die Zeit gestattete keine weitschweifigen Erläuterungen. Der »Alte Said« liebte es, eine besonders kurz und präzise abgefasste Art der Erklärung zu verwenden.
Zweitens: Er hatte dabei lediglich die große Verständnisfähigkeit seiner eigenen Schüler und deren Auffassungsgabe im Blick. An das Begriffsvermögen der übrigen dachte er dabei nicht.
Drittens: Der Kommentar ist deshalb in dieser Kürze und Prägnanz entstanden, weil der »Alte Said« das Wunder unerreichter Meisterschaft in der Poesie des Qur’ an in all seiner Feinsinnigkeit und Hintergründigkeit darlegen wollte.
Aber jetzt habe ich ihn mit den Augen des »Neuen Said« noch einmal gelesen und gesehen, dass er in seiner wissenschaftlichen Betrachtungsweise – trotz all seiner Mangelhaftigkeit – wahrhaftig ein Meisterwerk ist. Weil der »Alte Said« ihn zur damaligen Zeit in der ständigen Bereitschaft verfasste, sein Leben hinzugeben, zudem in reiner Absicht geschrieben hatte und dabei die Gesetze der Rhetorik und die Prinzipien der Arabistik erfüllte, konnte ich nichts davon streichen. Vielleicht wird Gott der Gerechte dieses Werk für ihn zu einem Ausgleich für seine Sünden machen und auch die Menschen heranbilden, die diesen Kommentar völlig verstehen. Insha-a’llah! Hätte es nicht Hindernisse wie den ersten Weltkrieg gegeben, und hätten auch die übrigen Teile und die Briefe einen Kommentar der verschiedenen Aspekte der Wahrheit zum Inhalt, dann wäre das Gesamtwerk ein schöner, umfangreicher Kommentar geworden, so wie ja auch der erste Band den Aspekt des Wunders erklärt, der das Wunder der Poesie ist. Vielleicht wird – insha-a’llah – dieser Teil des Kommentars eines Tages zusammen mit den 130 Teilen »Sözler, Lem’alar, Mektubat « der Abhandlungen als eine authentische Quelle dienen. Möge in der Zukunft einem Ausschuss das Glück beschieden sein, einen solchen Kommentar zum Qur’ an zu schreiben. Insha-a’llah!
Said Nursi
Anmerkung: Das Geheimnis (sirr) bei der Erwähnung der unbedeutenden Anmerkungen in diesem wunderbaren Kommentar (hârika tefsir), in dem zwölf Ayat, die von den Heuchlern (munafiq) handeln, und zwei Ayat, die von den verbohrten Ungläubigen (kafir) handeln, bei deren Erklärungen und Ausführungen viele Menschen viele sprachliche Feinheiten (münasebat-ı belâğat) nicht verstehen und aus ihnen keinen Nutzen ziehen können, und die Absicht (hikmet), mit der die Ausführungen über das Wesen des Unglaubens (mahiyet-i küfriye) und die Zweifel, an denen sich die Heuchler (ehl-i nifak) festklammern, im Gegensatz zu der Untersuchung und Erläuterung der anderen Ayat nur kurz erwähnt werden, und der Grund dafür, dass die feinsinnigen Hinweise und Andeutungen der Worte des Qur’ – an hingegen mit Nachdruck erklärt werden, lassen sich in drei Punkten erklären:
Erster Punkt: Der Alte Said hat in seiner Herzenseinfalt aus dem Unterricht (ders) des Qur’ an heraus gespürt, dass, wie zu Beginn der Erscheinung der Islamiyet, die verbohrten heidnischen (kitabsız) Ungläubigen (kafir) und die Heuchler (munafiq) der alten Religionen (din), die der Zwietracht (nifak) verfallen sind, eben jetzt in dieser Endzeit (zaman-ı âhir) wieder als eine Kopie von ihnen in Erscheinung treten werden. Er hat in der Behandlung der Ayat über die Heuchler (munafiq) die überaus feinsinnigen Anspielungen in ihnen erklärt, wobei er, um die Gedanken der Leser nicht zu verwirren, das Wesen ihres Weges (mahiyeti meslek) und ihre Anhaltspunkte (istinad noktası) nur kurz erwähnt und nicht weiter erläutert. Die Methode (meslek) der Risale-i Nur ist ja die, dass sie im Gegensatz zu den anderen Gelehrten (ulema), ohne die Zweifel der Gegner zu erwähnen und ohne eine Spur von ihnen in den Gedanken (ihrer Leser) zu hinterlassen, eine solche Antwort gibt, dass kein Platz für noch weitere irrige Vorstellungen (vehim) und Einflüsterungen (vesvese) zurückbleibt. Der Alte Said misst, um die Gedanken (seiner Leser) nicht in Verwirrung zu bringen, wie in der Risale-i Nur so auch in diesem Kommentar zu den Ayat im Qur’ an (tefthir), hinsichtlich seiner Beredsamkeit (belaghat) nur den dortigen Andeutungen und Hinweisen der Worte einen Wert bei.
Zweiter Punkt: Da nun einmal der weise Qur’ an durch das Lesen jedes seiner Buchstaben so wertvoll ist, dass jeder Buchstabe, zehn, hundert, tausend, ja viele tausende Segenspunkte (sevab) und ewig bestehende Früchte im Jenseits (bâki meyve-i uhrevî) erbringt, ist es auf jeden Fall nicht sinnlos und keine Verschwendung, wenn der Alte Said in seinem Kommentar (tefthir) die Anmerkungen, welche die Worte (kelimat) des Qur’ an betreffen, so fein wie ein Haar und bis aufs Tüpfelchen (zerre) genau erklärt. Er hat vielmehr gespürt, dass sie so wertvoll sind wie die Wimpern unserer Lider, ja sogar wie jede Zelle in unserem Augapfel, sodass auch inmitten jenes entsetzlichen Krieges und selbst noch in vorderster Reihe die Kugeln des Feindes ihn nicht davon ablenken konnten, an diese haarfeinen Zusammenhänge zu denken, sie niederzuschreiben, und ihn nicht dazu zwingen konnten, diese Arbeit aufzugeben.
Dritter Punkt: Die türkische Übersetzung konnte die Flüssigkeit, die Prägnanz (belaghat) und den wunderbaren Wert des arabischen Originals nicht aufrechterhalten (muhafaza). Sie ist an manchen Stellen ziemlich kurz und bündig formuliert. Möge Gott es wollen (inşâallah), dass wir den arabischen Kommentar am Schluss dieser Übersetzung, insoweit nichts dazwischen kommt, herausgeben können, damit diese Mängel bei der Übersetzung beseitigt werden. Denn in dem arabischen Kommentar (tefthir) finden sich sehr viele wunderbare Arten einer symmetrischen Übereinstimmung (tevafuk), die nicht durch einen menschlichen Willen zustande gekommen sind. Darum muss man soweit wie möglich (imkan) bei dieser gedruckten arabischen Ausgabe auf die gleiche Weise vorgehen, damit diese wunderbaren Merkmale der Anerkennung Gottes (alâmet-i makbuliyet) nicht verloren gehen.
Said Nursi
بِاسْمِهِ سُبْحَانَهُ
»Im Namen dessen, der gepriesen sei.«
Wir sind über diesen Kommentar (tefthir), »Zeichen des Wunders (isharat-ul i’djaz)«, welcher vor vierzig Jahren, also im ersten Weltkrieg, in vorderster Front – manchmal zu Pferde – verfasst wurde, von unserem Meister (üstad) unterrichtet (ders) worden. Obwohl wir von der Rhetorik (ilm-i belâğat) und den Regeln der arabischen Sprache keine Ahnung hatten, haben wir durch den Unterricht (ders), den wir bekommen haben, das gewaltige Geheimnis (sırr-ı azîm) dieses Buches verstanden. Dieser Kommentar (tefthir), »Zeichen des Wunders« (işarat-ül i’caz) ist tatsächlich wunderbar. Da dieser Kommentar unter den verschiedenen Aspekten der Wunderhaftigkeit (vücuh-u i’caz) des Qur’ an das Wunder nur in seiner Poesie (nazm) auf wunderbare Weise zeigt, möchten wir in diesem Zusammenhang folgende vier Punkte erläutern:
Erstens: Da der Qur’ an nun einmal Gottes Wort ist, spricht er über alle Jahrhunderte hinweg die verschiedenen Schichten des ganzen Menschengeschlechtes an, wie sie Reihe um Reihe hintereinander sitzen, und unterrichtet (ders) sie. Des Weiteren steigt er als das Wort des Majes tätischen Schöpfers (Haliq-i Dhu-l’Djelal) dieses Kosmos (kainat) von den höchsten Stufen der Herrschaft Gottes (rububiyet) herab, spricht zu diesen Tausenden verschiedener Schichten Seiner Ansprechpartner und bringt ihnen die Antworten auf alle ihre Fragen und Nöte. Darum ist seine Botschaft (mana) mit Sicherheit auch stets umfassend und allgemein verständlich. Auch ist er nicht wie das Wort eines Menschen nur auf eine bestimmte Zeit und auf eine begrenzte Zielgruppe beschränkt, oder hätte nur eine individuelle Bedeutung (mana). Er verbreitet und verteilt seine geistliche Nahrung den Vorstellungen (efkar), dem Verständnis (ukûl), den Herzen (kulûb) und dem Geist (ervah) aller Dschinnen und Menschen entsprechend unter tausenden verschiedener Schichten.
Zweitens: Das Wort des Weisen Qur’ an, welches als Perlmutt der überaus umfangreichen Bedeutungen und Edelsteine des Weisen Qur’ an gilt, der aus dem Wort des Urewigen (Kelâm-ı Ezelî) herrührt und alle Jahrhunderte und alle Völker des Menschengeschlechts anspricht, ist mit Sicherheit allumfassend. Selbst noch bei seiner Rezitation bringen die Buchstaben des Qur’ an zehn, hundert, tausend und abertausende und an Festtagen (eyyam-ı mübaraka) bis zu dreißigtausendfachen Segen für das Jenseits (sevabı uhrevî) und Früchte im Paradies (djennet). So haben wir einen Teil der Wunderhaftigkeit, die in jedem dieser Buchstaben mit Sicherheit zu finden ist (maucudiyet), in diesem Kommentar (tefthir) gefunden.
Drittens: Die Schönheit und Pracht eines Dinges erscheint an diesem Ding als ein Ganzes. Wird es in Stücke geteilt, so ist die Schönheit und Pracht, die am Ganzen erscheint, in seinen Teilen nicht mehr zu erkennen. Alle Pracht und Schönheit, wie sie in einem Ding als Ganzem erscheint, kann man nicht in jedem einzelnen seiner Teile suchen. Doch auch wenn man sie nicht sieht, kann man es nicht für einen Fehler halten, dass sie nicht sichtbar ist. Und obwohl dies nun einmal so ist, zeigt sich die wundervolle Poesie (mu’cize-i nazm), wie sie in den Suren und Ayat des Weisen Qur’ an zum Ausdruck kommt, wenn auch in verschiedenen anderen Formen, dennoch den Forschern (ehli tedkik), analysiert man sie hinsichtlich ihres Aufbaus und ihrer Eigenschaften. So wird nun in diesem »Zeichen des Wunders« (işarat-ül i’caz), einem arabischen Kommentar (tefthir), die Flüssigkeit der Poesie (nazm), welche eine der Quellen unter sieben Quellen der Wunderhaftigkeit (i’djaz) des Qur’ an ist, bis in ihre allerfeinsten Geheimnisse (esrar) hinein aufgezeigt und erklärt. Und darum ist es mit Sicherheit auch keine Verschwendung, sondern diesem Sachverhalt durchaus angemessen (ayn-ı hakikat), wenn wir uns hier mit diesen »Zeichen des Wunders« (işarat-ül i’caz) in großer Sorgfalt (a’zamî ihtimam) darum bemühen, darzulegen, dass jeder einzelne Buchstabe des Weisen Qur’ an in seiner Wunderhaftigkeit (i’djaz) zehn, hundert, ja tausend und abertausend und an den Fest- und Feiertagen (eyyam-ı mübaraka) selbst dreißigtausend Früchte für das Jenseits (semere-i uhrevî) hervorbringen wird.
Viertens: Da der Weise Qur’ an aus dem Wort des Urewigen (Kelâm-ı Ezelî) kommt und alle Völker der Menschheit (tabakat-ı beşer) in allen Jahrhunderten anspricht, findet sich in seiner Bedeutung (mana) eine wunderbare Vielseitigkeit und allgemeine Gültigkeit. Er ist nicht so einseitig wie der menschliche Verstand und seine Sprache, dass er nur an ein Problem gleichzeitig denken und nur ein Wort im selben Augenblick aussprechen kann, sondern gleicht dem Auge, das über einen umfassenden Blick verfügt. So ist auch das Wort des Urewigen (Kelâm-ı Ezelî), das in seinem Umfang, der alle Zeiten und Gruppen aller Menschen (taife-i insaniye) in Betracht zieht, ein göttliches Wort (Kelâm-ı İlahî). Mit Sicherheit ist Sein Sinngehalt (mana) nicht wie das Wort eines Menschen nur auf einen bestimmten Sinn (mana) und eine persönliche Absicht beschränkt. Aus diesem Grund sind Bedeutungen (mana), welche die Kommentatoren (müfessirîn) anhand der verschiedenen sprachlichen Ebenen wie Erklärungen, Hinweisen, Symbolen, Anhaltspunkten, Redewendungen und Anspielungen in allen Kommentaren (tefthir) erklären, sofern sie den Regeln und Methoden der arabischen Grammatik und dem System des Glaubens nicht widersprechen, Bedeutungen (mana), die von diesem Wort (kelam) direkt beabsichtigt und bezweckt sind.
Tahiri, Zübeyr, Sungur, Ziya, Ceylan, Bayram